Die Loreley

Firos Holterman ten Hove, Ostern 1989

 

Maria Mareike, Geliebte von Gott, gewidmet

 

Es gibt wohl keinen gewagteren Platz für einen Ziraat- Workshop an Ostern als der Loreley-Fels. Man kann sich nur wundern, wie der Sufi Orden diesen Tagungsort gefunden hat. Trauen wir uns denn, die universelle Botschaft von Liebe, Harmonie und Schönheit, welche uns zu Pir Vilayat Inayat Khan hinzieht und durch ihn zu Hazrat Inayat Khan, nicht nur gedanklich, sonder auch ganz konkret mit der Loreley, dieser durch und durch Deutschen Sage in Verbindung zu bringen?

 

So viel ist über der fatalen und tragischen Figur geschrieben und gedichtet worden. So sehr auch wurde sie missbraucht und geschändet, dass man einiges an berechtigter Hemmung überwinden muss, will man sich mit dem Wesen der Loreley beschäftigen. Aber dass es an der Zeit ist, davon zeugt eine Sammlung Gedichte, Prosa und Bilder aus den letzten zwei Jahrhunderten, welche Wolfgang Minaty unter der Titel „Die Loreley“ als Insel Taschenbuch herausgab. Die Zitate, welche folgen, kommen aus diesem Buch. Zudem zeigte mir die Begeisterung der Teilnehmer an dem Workshop, dass die Loreley nicht länger tabu ist.

 

Ehrfurcht vor diesem Thema ist aber angesagt. Wer hoch steigt, kann tief fallen. Das war das Schicksal von so manchem Loreley-Verehrer und dass hat auch die deutsche Vergangenheit gezeigt:

„Ein Brunnen deutscher Wesensart

Ist Goebbels Mund entsprungen,

Der stählernen Romantik hat

Er laut ein Lied gesungen:

Man braucht nicht nur das Streitgedicht

Nicht Reime nur zum Drillen

Nicht Bilder nur, wie Hitler spricht

Gesucht sind auch Idyllen.

Ob Stahlgesang, ob Loreley…. „

(Minaty 204)

 

So sang ein Dichter in 1934. Und in 1979 dichtet Allen Ginsberg:

„Too much industry

No fish in the Rhine

Lorelei poisoned

Too much embarrassment“

(Minaty 229)

 

Auf dem Loreley-Felsen ist ein Tafel angebracht, wo an allen Opfern der beiden Weltkriegen erinnert wird. „Opfer an die Loreley?“, so fragt man sich erstaunt!

 

Und das Opfern geht weiter. Wie viel Pflanzen- und Tierarten weltweit pro Minute? Auch Opfer an die Loreley?

 

„Auf dem Rhein in der Nacht, das Wasser führt einen Mund mit und der Mund eine Stimme und die Stimme eine Träne.

Und eine Träne rinnt den ganzen goldnen Rhein hinab, wo die Süße der Loreley nicht mehr lebt.“

(Pablo Neruda, 1940 in Minaty, 205)

 

„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin“, so dichtete Heinrich Heine die erste Sätze des wohl bekanntesten Liedes über der Loreley. Es nahm zeitweilig den Rang einer Nationalhymne ein.

Woher stammt diese unbestimmte Traurigkeit? In den darauf folgenden Strophen wird dies nicht unbedingt klar. Oben auf dem Fels sitzt eine wunderschöne Frau. So kämmt ihre Haare und singt dabei. Unwiderstehlich für die Schiffer. Diese schauen nur hoch und passen nicht auf. Der Strudel verschlingt sie.

Das hat dann wohl die Loreley getan, meint Heine. Natürlich eine klassische Männeridee: die Frau ist schuld, wenn die Männer sich in ihr verlieben.

 

Aber warum denn diese Traurigkeit? Ist das auch eine Männersache, sowohl bei Heine als bei Neruda? Aufschluss finden wir in dem ältest bekanntesten Gedicht, worin Loreley als Hexe zum Bischoff geführt wird:

„Er sprach zu ihr gerühret:

Du arme Lore Lay!

Wer hat dich denn verführet

zu böser Zauberei?“

Und da antwortet sie:

„Mein Schatz hat mich betrogen,

Hat sich von mir gewandt,

Ist fort von hier gezogen,

Fort in ein fremdes Land.

Die Augen sanft und wilde,

Die Wangen rot und weiß,

Die Worte still und milde

Das ist mein Zauberkreis.

Ich selbst muss drin verderben,

Das Herz tut mir so weh;

Vor Schmerzen möcht` ich sterben;

Wenn ich meine Bildnis seh`.

Drum laßt mein Recht mich finden,

Mich sterben, wie ein Christ,

Denn alles muss verschwinden,

Weil er nicht bei mir ist“

(Minaty 25, 26, 27)

 

Loreley ist sich also ganz im Klaren, warum sie fast verrückt wird vor Trauer. Der Grund ist die Trennung zwischen ihr und ihrem Mann. Ihr Mann hat sie verlassen und ist irgendwo hingezogen, wo sie ihn nicht folgen kann. In unserem Workshop wurde klar, daß was hier beschrieben wird, der Übergang ist vom Matriarchat zur patriarchalen Kultur. Irgendwann haben die Männer sich aus der Mutterbindung gelöst und sind ihren eigenen Weg gegangen, weg von der Loreley in ein nicht-weibliches „Land“. Merkwürdig ist, dass uns diese von uns vollzogene Trennung als solches nicht bewusst ist. Es sie anscheinend, diese Willensakt, ein Nein-Sagen zur Natur als befreiende Handlung. Das heißt, dass immer wenn eine Frau schön ist und Herzen hinreißt, dies eine Bedrohung für die Kultur und für die Kirche sei. So eine Frau muss zum Bischoff, weil sie etwas treibt, das außerhalb der traditionellen Religion liegt. Etwas Heidnisches, Magie. Sie ist eine Hexe.

Die Loreley gibt in dem Gedicht nicht nur Auskunft über das Warum ihres Treibens, sonder auch über die Art dessen. Und zwar ist in ihren Augen das, was sie tut, vollkommen natürlich und sonst gar nichts. Sie ist sich von keiner Schuld bewusst und hat auch keine Schuld. Sie ist sich selbst in Reinform, kann und soll sich nicht ändern, aber die einzige, die sie sieht, ist sie selbst. Es gibt keine Brücke zur anderen Seite. Ihr Partner und Gegenüber ist weg. Und da meint sie, dass es ihr Recht ist, zu sterben. Eine ungeheure Kraft spricht da heraus. Sie wird angeklagt und der Zauberei beschuldigt. Da sagt sie: ja, kreuzige mich endlich auch, weil diese Trennung ist nicht länger erträglich; wenn denn mein Mann verschwindet, dann soll auch alles verschwinden. Die Schöpfung hat ihren Sinn verloren.

 

Im weiteren Verlauf des Gedichts verweigert der Bischof ihr den Tod. Sie soll ins Kloster gehen. „Du sollst ein Nönnchen werden, ein Nönnchen schwarz und weiß, bereite dich auf Erden zu deines Todes Reis.“ Er bietet ihr also das Leben auf Erden an als Möglichkeit, sich vom Erdenleben mit all seinen Farben zu lösen. Die Frauen sollten die Männer in der Trennung von der Natur folgen.

Die Loreley aber ist eine Frau, die auf so eine Einladung nicht eingeht. Auf dem Weg zum Kloster, so berichtet der Dichter, springt sie vom Loreley-Fels ins Wasser und verschwindet.

 

Das Gedicht endet mit dem Schicksal von ihren Begleitern: „Die Ritter mussten sterben, sie konnten nicht hinab, sie mussten all verderben, ohne Priester und ohn´ Grab.“ Das ist, was mit uns passiert letzten Endes, wenn wir in unserer ablehnung der Weiblichkeit verstarren. Die Sache verdirbt, und wir finden keine Erlösung.

 

„Ein Stückchen Ich, ein Stückchen Ich von mir

fällt in den Abgrund der Loreley.“

(Minaty 247)

 

Solange die Menschheit auf dem Weg ist, sich aus ihrer Einbundung in der Mutter-Natur zu befreien, ist es natürlich furchtbar, ein Stückchen von seinem mühsehlig aufgebauten Ego zu verlieren. Keuschheit soll zum Himmel führen. Verzicht auf dem Erdenleben ist die auserwählte Methode, die geistige Freiheit zu erlangen.

 

„Dort unten auf den Wellen

Arbeitend, rudern viel`;

Dass sie nur nicht zerschellen,

Dass ist ihr höchstes Ziel.

Sie schließen den Sangeswonnen

Verstockt die störrige Brust,

Und meinen viel gewonnen,

Entrannen sie der Lust.“

(Minaty 62)

 

Auch in diesem Gedicht das Bild von einer Gesellschaft, dessen Ziel es ist, mitten auf den Wellen des verräterischen verschlingenden Flusses ihre Identität zu bewahren. Es bleibt aber ihre Anziehung bestehen, sich vom Wasser verführen zu lassen. Da gibt es nur eins: Arbeit statt Lust.

 

Lass, Knabe, dich nicht betören!

die graue Klugheit spricht“ (Minaty 62)

Wenn man klug ist, verliebt man sich nicht. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass doch nur Betrug dahinter steht. Das sind ja starke, richtungweisende Botschaften, welche schon viele Jahrhunderte maßgeblich sind in unserer Kultur.

„Die Schifflein ziehn vorüber,

Lieb Knabe, sieh nicht auf!

Sie singt dir hold zum Ohre,

Sie blich dich thöricht an,

Sie ist die schöne Lore,

Sie hat dir´s angethan.

(Minaty 36)

 

Es erinnert an der Geschichte von Odyseus, wie er die Sirenen begegnet. Auch er kann nicht gleichzeitig rudern und zuhören. Er lässt sich mit offenen Ohren an der Mast binden und die Ruderer bekommen ihre Ohren zugestopft. Auch hier findet eine Trennung vom dem Impuls, sich der Naturgewalt der Sirenen zu ergeben, statt. Eine willentliche Gewalt wird dem entgegengesetzt: das Vermögen, Natur zu Zweck zu bändigen und vom Geist zu trennen.

 

„Sie schaut wohl nach dem Rheine,

Als schaute sie nach dir,

Glaub´s nicht das sie dich meine,

Sieh nicht, horch nicht nach ihr!“

(Minaty 36)

 

Hier sieht man die viel gelobte Objektivität erscheinen. Was man sieht, erlebt oder spürt, muss nicht unbedingt etwas mit einem selber zu tun haben. Diese Haltung bedeutet Freiheit. Erst in zweiter Instanz merkt man, dass auch etwas verloren gegangen ist:

 

„Du hast so oft das deutsche Herz gerührt

Und aus des Tages arbeitstrockner Schwüle

Hinauf, ins grenzenlose, gnadenkühle

Ins unbestimmte Wunderland geführt.“

(Minaty 180)

 

Die Spaltung in unserer Kultur 

Die Meinungen über der Loreley sind offensichtlich in zwei unversöhnlichen Lagern verteilt.

Die Hauptströmung ist die der Realisten, welche davor warnen, sich mit der Loreley einzulassen.

Die dauernde Begleitströmung ist die der Romantiker, die der Traurigkeit zum Ausdruck bringen und sich nach dem verlorenen Paradies sehnen.

Unter den Realisten gibt es auch Männer, wie der in 1842 besungene Sir Rupert the fearless. Er lässt sich zielbewusst mit der Loreley ein, um ihre Unterwasserschätze zu bekommen, damit er wieder in Wohlstand leben kann. Die Geheimnisse der Natur werden geknackt, um sie uns zu Nutzen zu machen:

„Ah, miss, had I

A few pounds of those metals

You waste here on kettles,

Then, Lord, once again

Of my spacious domain,

A free count of the Empire

Once more I might reign….

(Minaty 85)

 

Da kommt zum Ausdruck, was sich in unserem 20. Jahrhundert voll entfaltet hat: Forschung und Wirtschaft machen uns zum “freiem” Herrscher über der Erde.

 

Das Gegenstück zum englischen Industriellen wird vom ebenso prototypischen deutschen Dichter dargestellt:

„Der lässt das Ruder fallen,

Und achtet´s nicht für Not,

Wenn von des Wirbels Wallen

Verschlungen wird sein Boot.

Nun ruht er, weich umkoset,

 

Tief unten in süßem Traum;

Des Lebens Müh´ vertoset

Im stillen Kristallenraum.

Und in die Träume mengt sich

Das Lied der Loreley,

Und Märchenwonne drängt sich

In süßen Gewirr herbei.

Wohl mir, dass mich mit Schäumen

Der heilige Strom verschlang,

Ich liege schon lang in Träumen

Und horche dem Wundergesang.“

(Minaty 63)

 

Es ist eine tragische Spaltung, worin unsere Kultur gefangen ist. Einerseits das Streben nach Herrschaft, das uns zwingt, die Natur zu betrügen und auszubeuten; und gleichzeitig unsere eigene Natur zu bändigen, damit wir bloß nicht aufhören, zu rudern, zu arbeiten.

Andererseits ein immer starker werdendes seelisches Leiden.

Die Rolle der Frau in diesem Teufelskreis ist von einer merkwürdigen „double bind“ geprägt. Als Loreley verführt sie die Männer und als betrogene und verlassene Frau wird sie das Opfer der Verführung:

Und Knab` und Schiffern sitzen

Im schwankenden Kahn allein.

Sie singet süsse Lieder

Und spricht manch Schmeichelwort,

sieht dann in´s Aug ihm wieder.

Er aber kehrt sich fort.

Denn drüben auf der Klippe

Da steht die Lorelei,

Von ihrer rosigen Lippe

Töut Wundermelodei

….

Kannst Du nicht bei mir weilen?

Ich bin Dir ja so gut,

Will alles mit Dir theilen,

Was nie die Lorlei thut.

……

Ich höre sie nur singen,

Seh nur das Sonnenlicht

Aus ihren Augen dringen,

Dich – hör´ und seh` ich nicht.“

(Minaty 88, 89)

 

Hier wird beschrieben, wieder Mann seine Frau verlässt um eine andere Frau zu folgen. Auch von der Loreley wird geschrieben, dass sie einst so verlassen wurde. Es scheint ein Teufelskreis, und das heillose Dilemma kann nicht durch einer Entscheidung für die eine oder andere Frau überwunden werden. Die Realisten verleugnen, was die Romantiker verherrlichen. Und Umgekehrt. Das Weibliche ist immer da Opfer, weil eine Wahl letzten Endes nicht möglich ist.

 

Tod und Auferstehung durch die Natur hindurch 

Es gibt aber eine Lösung und die Signifikanz eines Sufi-Seminars am Ostern auf der Loreley wird da ersichtlich. Es ist die Kreuzigung, welche in einer konsekwenten Hingabe an die Loreley verborgen liegt. Dieser Ausweg wird in nur einigen Darstellungen der Sage klar gezeigt. Alois Wilhelm Schreiber beschreibt in 1818, wie der Sohn einer Pfalzgrafen der Loreley begegnet:

„….. Der Jüngling hatte sie aber bereits erblickt, wie sie am Abhang des Felsenbergs nicht weit vom Strom saß und einen Kranz für ihre goldnen Locken band. Jetzt vernahm er auch den Klang ihrer Stimme und war bald seiner Sinne nicht mehr mächtig. Ernötigte die Schiffer, am Fels anzufahren, und, noch einige Schritte davon, wollt´ er ans Land springen und die Jungfrau festhalten, aber er nahm den Sprung zu kurz und versank in dem Strom, dessen schäumende Wogen schauerlich über ihm zusammenschlugen.“

(Minaty 34)

 

Der Vater in seinem Wut und Schmerz schickt seine Soldaten, um die Loreley gefangen zu nehmen oder zu töten.

„Ei, sagte die Jungfrau lachend, der Rhein mag mich holen. Bei diesen Worten warf sie die Bernsteinschnur in den Strom hinab und sang mit schauerlichem Ton:

Vater, geschwind, geschwind,

Die weißen Rosse schick deinem Kind,

Es will reiten mit Wogen und Wind!

Urplötzlich rauschte ein Sturm daher; der Rhein erbrauste, dass weitum Ufer und Höhen vom weißen Gischt bedeckt wurden; zwei Wellen welche fast die Gestalt von zwei weißen Rossen hatten, flogen, mit Blitzesschnelle, aus der Tiefe auf die Kuppe des Felsens und trugen die Jungfrau hinab in den Strom, wo sie verschwand.

Jetzt erst erkannten der Hauptmann und seine Knechte, dass die Jungfrau eine Undine sei, und menschliche Gewalt ihr nichts anhaben könne. Sie kehrten mit der Nachricht zum Pfalzgrafen zurück und fanden dort mit Erstaunen den totgeglaubten Sohn, den eine Welle ans Ufer getragen hatte.“

(Minaty)

 

Hier sehen wir zwei erstaunliche Entwicklungen. Erstens kann die patriarchale Gewalt die Natur weder bändigen noch töten. Zweitens geht der Mensch nicht in der Natur verloren, sondern taucht wieder auf.

 

Der realistische Standpunkt wird überwunden und zwar ohne dass die Natur endgültig stirbt. Eine Aussicht, welche in unserer Zeit Hoffnung gibt.

 

Und die Romantik wird ebenfalls überwunden dadurch, dass der Verlust des Egos kein Zweck in sich mehr ist, sondern eine Stufe zu einem neuen Leben. Ein Erdenleben, so würde man aus der Geschichte schließen.

 

Auferstehung durch das Wasser 

Ein anderer Dichter beschreibt auf humorvolle Weise einen ähnlichen Prozess von Tod und Auferstehung durch das Wasser:

„Mit schönen Frauen hab ich lieber zu tun

Als mit schönen preußschen Soldaten.

Und als ich am Lurlei vorüberkam:

Da war ich verkauft und verraten.

Ich sah sie sitzen, die nackte Fee,

Und ich hörte ihr lüsternen Singen;

Und mit Koffer und Reisesack sank ich hinab,

Ihren wonnigen Leib zu umschlingen.

Das war eine Barrikadenschlacht

Auf ihren schneeweißen Brüsten!

Mit heiler Haut kam ich eben davon,

Doch verlor ich Koffer und Kisten.

(Minaty)

 

Hinzufügen könnte man noch eine Tana von Hazrat Inayat Khan:

„Tod, wem dienst du? Ich diene dem Gottgeweihten, und wenn er heimkehrt, trage ich sein Gepäck.“

Der deutsche Dichter drückt neben ein Vertrauen, wieder auftauchen zu können die Angst aus, den Bezug zur Materie im Sterbeprozess zu verlieren. Natürlich muss man die materielle Ebene hinter sich lassen, wenn man sich vom Strudel aufsaugen lässt, aber wie Hazrat Inayat Khan sagt: wenn man heimkehrt, wird einem die Materie wieder angeboten. Nichts geht verloren. Dieser Heimkehr ist nicht nur als eine Himmelfahrt zu verstehen. Die Himmelfahrt ist ein Vorstufe zum neuen Leben auf Erden, würde ich meinen.

 

Wir haben schon gesehen, dass wenn man bereit ist, sein Ego aufzugeben und sich dem Wasserelement zu ergeben, man in einen „Kristallraum“ geführt wird, wo Frieden herrscht. Es ist ein „Platz“, wo das Wasser noch nicht fließt, wo es noch nicht geboren wurde.

 

Auferstehung durch die Erde 

Ähnliche Orte gibt es innerhalb der anderen Elementen. Die Loreley wirkt nämlich nicht nur durch das Wasser. Beispielsweise kann man auch durch die Erde zu ihr gelangen.

Es gibt mehrere Versionen der Sage, wo Männer den Berg hochklettern um sie zu erreichen.

„Sie singt so lockend droben,

Er ist schon ganz nah,

Und endlich, endlich oben -

Weh´ ihm! Sie ist nicht da.

Da steht er einsam schauernd,

In Abends letztem Schein

…“

(Minaty 89)

 

An dem Moment, wo man den Gipfel erreicht, stürzt sich die Loreley ins Wasser, verwandelt sich mit Hilfe der Wind von Berg in Fluss, wie wir schon gesehen haben. Und wir haben auch schon gesehen, dass die Ritter dann sterben müssen, weil sie nicht wie die Zauberin hinab können. Dieses furchtbare Schicksal, ohne Erlösung bleiben zu müssen, hängt damit zusammen, dass wir Menschen meinen, ohne Einsamkeit und ohne Kreuzigung von einem Element isn andere übergehen zu können. Wir verweigern uns, in die Innerlichkeit der Elemente ein zu treten.

 

Wie das Wasser hat auch die Erde einen Innenraum:

Rechts von dem Bette des Vaters Rhein und gerade in der Mitte des Bodens war eine grosse und runde Öffnung mit einem goldenen Gitter umgeben; es führten Stufen hinab, und unten sah man rings eine Menge Bogengänge nach allen Seiten hin laufen, aus deren jedem ein anderer Glanz herausschimmerte: grün, rot, blau, gelb, violett, kurz alle mögliche Farben, und als die Nymphen den alten Wassermann fragten, woher dieser wunderbare Schimmer komme, sagte er:

An diesem wunderbaren Ort

Da ruht der Nibelungen Hort;

……

Die sieben Bogengänge führen

Zu sieben reinen goldnen Türen,

Die sieben Treppen dann berühren.

Und diese Treppen auf sich winden,

Bis sie in einem Saal verschwinden,

Dem sieben Kammern sich verbinden.

Im Saal auf siebenfachen Thronen

Sitzt Lureley mit sieben Kronen,

Rings ihre sieben Töchter wohnen.

Frau Lureley, die Zauberinne,

Ist schönes Leibs und kluger Sinne,

Hoch hebt sich ihres Schlosses Zinne.

Von innen aus der Massen fein,

von aussen schroff ein Felsenstein,

Umbrauset von dem wilden Rhein.

(Minaty 30)

 

Hier wird also beschrieben, dass wenn man den Gipfel des Berges erreicht hat, der Weg in den Himmel paradoxerweise nicht weiter hoch führt, sondern dass man hinabsteigen muss um die sieben Engelsphären zu erreichen. Wir hatten schon gesehen, wie die Loreley immer wieder mit Gold in Verbindung gebracht wird. Sie kämmt ihre goldene Haare mit einem goldenen Kamm. Gold ist das schwerste der edlen Metallen. Die Verfeinerung des Erdenelementes ist verbunden mit einer Gewichtszunahme. Die Vergeistigung der Erde geht durch einem Prozess der Schwere hindurch.

 

Auferstehung durch das Feuer – Das Tierreich 

Auch das Feuerelement steht der Loreley zur Verfügung. Wie es dazu gekommen ist, wird in der folgenden Geschichte erzählt:

Einst schiffte auch der Teufel auf dem Rhein, und kam zwischen die Lurleifelsen; der Pass schien ihm zu enge, er wollte ihn weit haben, und den gegenüberliegenden Felsenkoloß entweder von der Stelle rücken, oder in solche Brocken brechen, dass sie den Strom ganz sperren und unschiffbar machen sollten; da stemmt er nun sein Rücken an den Lurleifels, und hob und schob und rüttelte am Berge gegenüber. Schon begann dieser zu wanken, da sang die Lurlei. Der Teufel hörte den Gesang und es wurde ihm seltsam zu Muthe. Er hielt inne mit seiner Arbeit, und hielt es fast nicht länger aus. Gern hätte er sich selbst die Lurlei zum Liebchen erkoren und geholt, aber er hatte keine Macht über sie, wurde aber aber von Liebe so heiss, dass er dampfte. Als der Lurlei Lied schwieg, eilte der Teufel von dannen….

Er hatte schon gedacht, an dem Fels gebannt bleiben zu müssen. Aber als er hinweg war, da zeigte sich, o Wunder, seine ganze Gestalt, den Schwanz nicht ausgenommen, in die Felswand schwarz eingebrannt.

…Nachher hat sich der Teufel sehr gehütet, der Sirene des Rheins wieder nahe zu kommen und hat gefürchtet, wenn er von ihr abermals gefesselt werde, in seinen Geschäften grosse Unordnung und Unterbrechung zu erleiden.

(Minaty 113-115)

 

Wir wollen hier jetzt nicht auf die Frage eingehen, was denn wohl ein Teufel ist. Klar ist, dass es sich um Feuer-Energie handelt, welche mit der Materie zugange ist. Eine riesige Kraft versucht, die Natur aus ihren Angeln zu heben.

An dem Moment, wo die Katastrophe nahe gerückt ist, findet ein Umschwung statt. Die Loreley lässt die Feuerenergie auf den Teufel selbst zurückfallen. In diesem Prozess, möglich durch die enge Verbindung zwischen den zweien, entsteht einerseits schwarze Kohle und andererseits Musik. Das Feuer vergeistigt. Man kann auch sagen: die Energie der Tiere wird von der Loreley transformiert. Nicht umsonst wird ausdrücklich erwähnt, dass der Teufel einen Schwanz hat.

Wichtig ist noch, kurz still zu stehen beim Schluss der Geschichte. Der Teufel wird nicht endgültig vernichtet. Er setzt seine Arbeit fort und folgt weiterhin seine innere Gesetzmäßigkeit. Aber seine absolute Macht ist gebrochen.

 

Das Pflanzenreich 

So wie bei den Tieren, so wirkt die Loreley auch im Reich der Pflanzen.

Ein Ritter reitet durch den Wald und entdeckt dort eine wundervolle Dame. Folgender Wortwechsel findet statt:

 

Es ist schon spät, es ist schon kalt,

Was reit´st du einsam durch den Wald?

 

Der Wald ist groß, du bist allein,

Du schöne Braut, ich führ dich heim!

 

Groß ist der Männer Trug und List,

Vor Schmerz mein Herz gebrochen ist,

Wohl irrt das Waldhorn her und hin,

O flieh, Du weißt nicht wer ich bin!

 

So reich geschmückt ist Ross und Weib,

So wunderschön der junge Leib,

Jetzt kenn ich dich – Gott steh mir bei!

Du bist die Hexe Lorelay.

 

Du kennst mich wohl – vom hohen Stein

Schaut still mein Schloss in tiefen Rhein;

Es ist schon spät, es wird schon kalt,

kommst nimmermehr aus diesem Wald!

(Minaty 32)

 

Die Schönheit der Pflanzenwelt hat eine starke Anziehung auf uns Menschen. Wir möchten sie besitzen und mit nach Hause nehmen, genauso wie traditionell in unserer Kultur die Braut vom Mann mit nach seinem Haus genommen wird. Aber dann stellt sich heraus, dass der Mensch die Grenze von seiner Macht überzogen hat. Die Kräfteverhältnisse schlagen um, und jetzt ist er der Gefangene. Die Loreley spricht einen Bannzauber. Es ist wie mit den Rittern auf dem Berg oder wie beim Ertrinken im Fluss. Es scheint keinen Ausweg aus der Gegensätzlichkeit zu geben. Entweder man hackt die heilige Eiche und den tropischen Regenwald um, oder man wird im grünen Jungle verschlungen.

 

Außer wenn man den Mut hat, den Paradox zu überwinden.

 

Wem aber warmes Leben

Und Mut im Busen wallt,

Der hat sich ganz ergeben

Der hohen Sangesgewalt.

(Minaty 63)

 

Das Lied der Loreley 

Viele, die vorüberschifften, gingen am Felsenriff oder im Strudel zugrunde, weil sie nicht mehr auf den Lauf des Fahrzeugs achteten, sondern von den himmlischen Tönen der wunderbaren Jungfrau gleichsam vom Leben abgelöst wurden, wie das zarte Leben der Blume sich im süssen Duft verhaucht.

(Minaty 34)

 

Im Sufi-Training lernen wir, wie man sich dem Saud-i-Sarmad, der kosmischen Musik ergeben kann, ohne zugrunde zu gehen. Wir müssen nicht sterben, bevor wir diese himmlischen Klänge erleben dürfen. Richtig ist, dass das Folgen der Obertöne, die uns immer höher führen, eine Art Entfernung vom Körper bedeutet. In diesem Sinne können wir also von einem Sterben sprechen. Mir müssen aber keine Angst haben, verloren zu gehen. Der Sufi-Weg bedeutet nicht, das Leben in der Welt Adieu zu sagen. Als Murids sind wir aufgefordert, beides im Auge zu behalten: einerseits unser praktisches Leben, andererseits unsere Verbindung mit der Musik der Sphären. Transformation im Leben findet statt, wenn eine Wechselwirkung zwischen diesen Polaritäten ermöglicht wird. Wenn wir einseitig nur dem Praktischen nachgehen, geht das Heilige verloren. Wenn wir einseitig nur der Musik nachgehen, verlieren wir den Boden unter den Füssen.

 

Es gibt einen Ausweg, eine Befreiung aus der Welt der Pflanzen, ohne diese Welt zu vernichten. Der Bann der Loreley verhindert ein sich Losreißen aus Äste und Blättern. Aber wenn man sich führen lässt, gibt es innerhalb dieses Reiches eine Entwicklung die zur Erlösung ohne Sterben führt. Es ist die Transformation von Wurzel über Blatt und Blume zum Duft.

 

Teach us, O thou friendly Fay!

Like the waves to find a way -

Lureley!

(Minaty 47)

 

Wenn man sich von der Musik dieser Transformation unterrichten lässt, gibt es einen Ausweg.

 

Ich will dich aber nicht fragen, wer die Frau Lureley eigentlich ist, und warum sie alles siebenfach hat, und wie sie zu dem Wächteramt gekommen; du möchtest mich wieder zu deinen vier weisen Meistern schicken.

„Ach“, sagte der Wassermann, „Die wissen auch gar nichts von ihr; Frau Lureley ist viel älter als diese Herren, obschon jeder von ihnen ein paar hundert Jahre älter ist als der andere. Frau Lureley ist eine Tochter der Phantasie, welches eine berühmte Eigenschaft ist, die bei Erschaffung der Welt mitarbeitete und das allerbeste dabei tat; als sie unter der Arbeit ein schönes Lied sang, hörte sie es immer wiederholen und fand endlich den Widerhall, einen schönen Jüngling, in einem Felsen sitzen, mit dem sie sich verheiratete und mit ihm die Frau Lureley zeugte; sie hatten auch viele andere Kinder, zum Beispiel: die Echo, den Akkord, den Reim, deren Nachkommen sich noch auf der Welt herumtreiben. Doch das wird euch Frau Lureley selbst erzählen, und zwar siebenmal, wen ihr sie darum fragt“. (Minaty 31)

 

Es gibt nur eine heilige Schrift, das heilige Buch der Natur, so sagt Hazrat Inayat Khan. Wenn wir uns auf der Musik des Universums einstimmen wollen, dürfen wir nicht in den Lehren der großen Meister hängen bleiben. Wir sollten direkt zur Quelle gehen. Diese Quelle ist älter als alle heiligen Bücher. Sie ist die Natur selber.