Seite 2 - Die Natur - das sind wir - Vortrag von Firos Holterman ten Hove

Ermutigende Signale in unserer Zeit 

Wenn ich nun, 100 Jahre später, die Entwicklung der Menschheit betrachte, sehe ich, auch wenn es manchmal nur schwache Signale sind, folgende Entwicklungen:

–> Mehr und mehr Menschen kommen zu der Schlussfolgerung, dass die eigene Religion nicht besser ist als eine andere. Die heutige Veranstaltung, an der ich teilnehmen darf, ist Ausdruck dieser Entwicklung. Wir suchen und finden die Einheit in der Vielfalt. Und wir werden entdecken, dass wir bei einem Kampf zwischen den Kulturen uns selbst vernichten. Wir werden zu einem Punkt kommen, an dem nur noch der Respekt für das Geheiligte des Anderen zählt, weil alles andere weitere Konflikte bedeuten würde, die wir uns nicht mehr leisten können und die unsere Umwelt, ”das Heilige Land”, weiter zerstören würden.

–> Mehr und mehr Menschen wenden sich wieder der Natur zu, um dort zu entdecken, was sie in den Büchern nicht mehr finden können. Zu viele sind der Bücher geworden. Zu pervertiert erscheinen die Diskussionen der gängigen Wissenschaft. So wird die Sehnsucht nach ursprünglicher Natürlichkeit weiter wachsen. Ein neues Schauen der Natur wird Basis für das Wissen werden.

–> Mehr und mehr Menschen befinden sich mitten in einem Bewusstwerdungsprozess. Sie erkennen, dass alles, was sie in ihre Umwelt hineinbringen, zu ihnen zurück kommt. Sie entdecken, dass die einzige Haltung, die global eine Chance hat, die der Nachhaltigkeit ist.

–> Zunehmend mehr Menschen sind auf der Ausschau nach dem Außergewöhnlichen. Was überzeugt, ist Liebe. Was beeindruckt, sind Menschen, die über ihren Schatten springen und sich selbst überwinden, der Zukunft unseres Planeten zuliebe.

–> Und schließlich: Wir Menschen haben ein feines Gespür dafür, was richtig und was falsch ist: Es ist unser Empfinden für Schönheit. Schönheit ist eine Kraft, die uns magisch anzieht und die letztendlich siegen muss, individuelle Schönheit, die aufleuchtet hinter den Formen und Gestalten der Natur und die in einem Menschen ihre Vollendung erreichen kann.

 

Woher nehme ich zu Anfang des 21. Jahrhunderts, hundert Jahre nach dem Wirken von Hazrat Inayat Khan, die Zuversicht, dass diese Ansätze sich durchsetzen werden?

Weil ein Mensch mich mit seinem Licht zutiefst beeindruckt hat und ich durch diese Begegnung im Stande war, das Licht in mir selbst zu entdecken.

 

Das Licht sucht sich selbst 

Als Kind hatte ich ein Erleuchtungserlebnis. Ich saß im Wald und plötzlich wurden die Sonne, die mich umgebende Natur und ich zu einer leuchtenden Einheit.

Wahrscheinlich haben viele Kinder solche Erlebnisse. Nur haben sie sie vergessen. Das innere sowie das äußere Leuchten sind immer da, aber wir haben die Augen davor verschlossen.

Hazrat Inayat Khan erklärt uns dieses Phänomen des Vergessens mit den Begriffen der Kosmologie der Sufis: Um sich selbst kennen zu lernen, kreierte das ewige Licht Himmel und Erde. Das Licht verliert sich in der Schöpfung, um sich selbst dort zu suchen und zu finden. ”Gelobt sei der Sündenfall” sagen deshalb die Sufis. Ohne den Verlust des göttlichen Ursprungs könnte es gar keine Schöpfung geben und keine Entdeckung der Liebe, Harmonie und Schönheit.

Das ursprüngliche Licht, von den Sufis ”Nur” genannt, gießt sich aus in die Schöpfung, in der Sehnsucht, sich selbst zu entdecken. Diese Sehnsucht nennen die Sufis ”Ishq”. Sie ist die treibende Kraft in allem.

Aus göttlichem Verlangen lösten sich die Planeten aus der Sonne heraus und manifestierten ihre Eigenheit und Qualität.

 

Aus göttlichem Verlangen materialisierten sich die Mineralien aus einem irdischen Seinszustand von Gas und Glut zu flüssigen und festen Formen.

 

Aus göttlichem Verlangen keimen, wachsen und blühen die Pflanzen. Sie tragen Früchte und formen Saat, weil Gott sich danach sehnt.

 

Aus göttlichem Verlangen ist der Fuchs schlau, der Bär mutig und gutmütig, der Hund treu.

 

Aus göttlichem Verlangen nehmen wir Menschen die Erde in Besitz und sind dazu aufgerufen, uns weiter zu entwickeln.

 

Die Quelle des Wissens frei legen 

Mensch und Erde, so lautet der erste Teil des Symposiumstitels. Wohin geht es mit der Erde und der Menschheit? Was ist der Platz von uns Menschen in der Schöpfung? Was ist unsere Aufgabe?

Dies sind Fragen für Forscher. Wir wollen verstehen. Wir wollen wissen. Die Wissenschaft aber ist als Ganzes weit entfernt davon, Antworten auf diese Fragen zu finden. Wenn wir Profit, Zuwachs von Gütern aus wissenschaftlicher Tätigkeit erwarten, können wir manche Fragen nicht beantworten, weil wir einer bestimmten Sicht der Dinge unterliegen.

Wie aber können wir Antworten finden auf die brennende Frage: Wohin geht es mit uns und der Erde?

Hazrat Inayat Khan definiert die Quelle seines Wissens folgendermaßen:

”Und wie können wir das Ziel des Lebens kennen? Kann es uns jemand enthüllen? Nein. Niemand kann uns das Ziel mitteilen. Weil das Leben nach seiner ureigensten Natur sich selbst enthüllt, und es ist unser eigener Fehler, wenn wir für diese Enthüllung, die das Leben uns bietet, nicht offen sind. Es ist nicht der Fehler des Lebens, denn die wahre Natur des Lebens ist enthüllend. Der Mensch ist aus der Natur hervorgegangen, deswegen ist sein Ziel die Natur.”

Was bedeutet das? Er sagt: Wenn wir uns öffnen, enthüllt sich das Leben.

Sufismus ist eigentlich kein ”Ismus” wie Marxismus oder Vegetarismus. Sufismus ist nicht an erster Stelle Wissenschaft. Sufismus ist keine Lehre mit Dogmen. Es gibt nichts, was ein Sufi glauben muss. Ein Sufi ist jemand, der sein Herz öffnet. Sufismus ist eher eine Haltung und eine Methode der inneren Entwicklung.