Die Operationalisierung von Ziraat

Ein Essay von Firos Holterman ten Hove

Herbst 2019

Die Operationalisierung von Ziraat, Ein Essay von Firos Holterman ten Hove, Herbst 2019

Bei meinen Gesprächen mit Ziraat-Mitgliedern ist mir aufgefallen, wie sehr manche von uns ringen mit der Frage, wofür Ziraat nun eigentlich steht. Welche Zielsetzung haben wir im Ziraat und wie wollen wir unsere Ziele erreichen? Ziraat wird von vielen als etwas schwer Begreifliches erlebt. Wir können das Wort Operationalisierung nutzen, wenn wir durch unser Handeln ein Begriff greifbar machen. Das Wort geht zurück auf das lateinische Substantiv opus, was „Arbeit“ bedeutet.

 

Was tun wir im Ziraat? Mir erscheint diese Frage auch deswegen legitim, da wir uns in der Loge doch zum Handeln, zur Arbeit verpflichten. Worin besteht die Verrichtung, diese Art der Arbeit, womit wir den Begriff Ziraat erfassen können?

 

Als vor ca. 40 Jahren Pir Vilayat Ziraat an die Öffentlichkeit brachte, war seine Ansage an uns Anwärter für Aufnahme in die Loge: „Willkommen sind diejenigen mit einem Bezug zur Landwirtschaft“. In seinem Vortrag „Die Bedeutung von Ziraat“, abgedruckt in The Message, vol 7 no 5, May 1981, finden wir eine eindringliche Warnung vor einer globalen Katastrophe und in einer Nussschale alle Elemente für den Aufbau einer neuen Umgang mit der Natur, insbesondere einer naturnahen Agri-Kultur.

 

Nachfolgend die einzelnen Abschnitte aus Pir Vilayat´s Botschaft mit meinen Hinweisen auf ihre mögliche Umsetzung.

 

„Die Freimaurer feierten in ihren Ritualen das Bauen des „Tempels“. Dieses Gebäude stellt den Grundstein der heutigen Zivilisation dar, deren Nachdruck auf der Industrie liegt. Hazrat Inayat Khan aber sah voraus, dass der Tag kommen wird, an dem wir Menschen auf einer tieferen Schicht der Lebensgrundlagen zurückgreifen werden: nämlich der Landwirtschaft.“

(Pir Vilayat Inayat Khan, The Message, vol 7 no 5, May 1981)

 

Die Ziraat-Loge hat große Ähnlichkeiten mit den Ritualen der Freimaurer. Im Kreise der Schüler um Hazrat Inayat Khan Anfang des 20. Jahrhunderts in London waren aktive Freimaurer zu finden. Murshida Green, verantwortlich für die Entwicklung von Ziraat, war Schülerin von Annie Besant gewesen, eine berühmte englische Theosophin, welche die Freimaurerei für Frauen zugänglich gemacht hatte. Es gibt durchaus Gemeinsamkeiten zwischen dem Sufismus und den Freimaurern. Beide Bewegungen haben Glaubens- und Gewissensfreiheit als Ideal. Beide richten sich an die ganze Menschheit und haben sich Rücksicht und Kinship auf die Fahne geschrieben. Beide kennen die kraftvolle Wirkung von Symbolen. Die Aussage eines Freimaurers aus dem 20. Jahrhundert lautet:

„Das Ziel selbst ist die innere Wandlung des Menschen, das Wiederauffinden des verlorenen Logos und das Erlebnis der Einbettung in das schattenlose Licht“ könnte genauso gut einem Sufi zugeschrieben werden."

 

Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied: Freimaurer orientieren sich an dem Tempelbau, Ziraat an dem Ackerbau. Die Geschichte der Freimaurerbünde geht zurück auf die Bauhütten der Steinmetze, welche im Mittelalter die Kathedralen in Europa errichteten. Pir Vilayat stellte klar, dass die heutige globale Kultur mit seiner industriellen Eroberung der Welt in einer Tradition steht, welche auf den Kirchenbau, und, weiter zurück, auf den Tempelbau basiert. Für die Begegnung mit dem Heiligen mussten Gebäude errichtet werden. Außerhalb der Mauern herrschte das Profane, im Innern herrschte Gott. Draußen galten die Gesetze der Materie; in dem geschützten Innenraum konnte der Geist sich manifestieren.

 

In der heutigen Entwicklungsstufe dieser 10.000 Jahre alten Kultur-Periode wird letztendlich die Notwendigkeit der Pflege eines geistigen Innenraumes als obsolet erlebt. Was übrig bleibt, ist die absolute Vorherrschaft der Materialismus mit einer grenzenlosen Entfesselung des Kapitalismus und einer unbekannten Rücksichtslosigkeit unserer Umwelt gegenüber.

 

„Aber, wenn Dharma in Verfall ist kommt der Botschafter!“

 

Im Ziraat-Impuls nimmt Pir-o-Murshid Hazrat Inayat Khan eine revolutionäre spirituelle Umkehrung vor: die Göttlichkeit der uns umringende natürliche Welt wird in den Mittelpunkt gestellt; der göttliche Funken in uns Menschen wird dadurch erlebbar, dass wir uns ehrfürchtig der Natur zuwenden. Wie Pir Vilayat sagt, handelt es sich hier um eine tiefere Schicht in unserem Wesen. Ein neues Kapitel in der Menschheitsentwicklung wurde 1919 angekündigt! Nicht die Erschaffung von Gebäuden, worin das Göttliche erlebt werden konnte, sondern das Bebauen und Bewahren der uns umringenden und innewohnenden Natur ist die Zielsetzung.

 

In Ziraat geht es um Ackerbau. Wir haben es hier mit Pflanzen zu tun. In der Evolution der Schöpfung gab es schon einmal eine radikale Umkehrung: In einem vegetalen Zeitalter produzierten die Pflanzen durch Aufnahme von CO2 Sauerstoff, in dem darauffolgenden animalen Zeitalter fingen Tiere an, diesen Sauerstoff aufzunehmen und CO2 auszuscheiden. Wir Menschen erreichen gerade im Augenblick die Grenze des Animalischen. Wir werden uns eine mehr vegetale Lebensweise aneignen.

 

Die globale Aufgabe heißt: CO2 aufzunehmen statt auszuscheiden. Dieser Entwicklungsschritt wurde von den Sufis vorausgesehen. In „A Sufi Message of Spiritual Liberty“ skizzierte Hazrat Inayat Khan die Phasen der menschlichen Entwicklung. Nachdem die Menschheit ihr Tierwesen mit dem einhergehenden Egoismus voll ausgelebt hat, wird sie als Nächstes lernen müssen, die pflanzliche Schicht in ihrem Wesen mit dem dazugehörende Altruismus zu entwickeln.