Klimawandel

Pir Zia Inayat-Khan

Sufi Teaching, 17.11.2019, Astana

Pir Zia Inayat-Khan: Die Klimakrise ist wirklich eine Krise des Bewusstseins und des Gewissens. Es ist eine Krise der Identität, der Entfremdung des Menschen vom Kosmos, dessen Mikrokosmos wir sind. Wir sind der ganze Kosmos in Miniaturform.

 

So Freunde, ich heiße euch alle herzlich willkommen. Ich bin so froh, dass wir an diesem Tag zusammen sein können. Lasst uns mit den Worten der Sufi-Invokation beginnen: Dem Einen entgegen, der Vollkommenheit von Liebe, Harmonie und Schönheit. Dem einzig Seienden, vereint mit all den erleuchteten Seelen, die den Meister verkörpern, den Geist der Führung.

 

Nun, es ist ein besonderer Segen, heute eine neue Seele in dieser Welt bei uns zu haben. Das süße Kind, das bei uns ist, erinnert uns an die generationenübergreifende Kontinuität des Lebens. Die Gegenwart eines kleinen Kindes erinnert uns an unseren eigenen Lebensverlauf, an unsere Eltern, deren Eltern und daran, was die Zukunft für kommende Generationen bereithält. Wir sehen uns dann nicht isoliert, sondern als Teil der Menschheit, als Ganzes, das selbst Teil der lebenden Erde als Ganzes ist. Und auf diese Weise wird unsere Sichtweise erweitert und es wird uns geholfen, über jene oft enge Selbstsucht hinauszugehen, die uns allzu oft antreibt, es sei denn, der Geist ist weit offen und das Herz ist weit offen. Wir neigen zu einer Art engstirnigen, verbissenen Verfolgung des persönlichen Eigeninteresses, es sei denn, wir sind in der Lage, auf der Erde anzukommen, zu Vernunft zu kommen, mit einer neu angekommenen Seele in Kontakt zu treten, in einen Urwald hinein zu laufen, indem wir den Zephyr einatmen und die Luft bis in die Zellen der Zehen aufnehmen. Das sind jene Augenblicke, die uns aus den Zwängen einer getrennten egoistischen Identität herausholen. Und genau diese Verlagerung ist heute in unseren Köpfen als Bereicherung allgegenwärtig. Synagogen, Moscheen und Kirchen erleben einen Tag der Reflexion über den Klimawandel. Wir sind aufgefordert, über die Beziehung zwischen Mensch und Planet nachzudenken, uns nicht mehr als isoliert wahrzunehmen, sondern uns im Gegenteil in das Leben dieser Erde und in das Leben des Kosmos ein zu betten. Und diese Verbindung unseres Lebens mit seiner Matrix, diese Einbindung unseres persönlichen Lebens in die sich entfaltende Geschichte des Ganzen ist eine Aufgabe, zu der uns die großen heiligen Traditionen unserer Welt drängen. Gewiss drängt uns die Sufitradition dazu.

 

So wird im Sufismus der Mensch khalif Allah fi al-ard genannt, was mit "Vertreter Gottes auf Erden" übersetzt werden kann. Eine Interpretation davon, eine sehr oberflächliche Interpretation davon, würde implizieren, dass wir absolute Autorität über alle Arten haben und dass alle Arten zu unserer Ausbeutung da sind. Ein tieferes und wahrhaftigeres, wohl das wirkliche Verständnis des Ausdrucks khalifat Allah fi al-ard zeigt etwas ganz anderes: Verantwortung und dass wir nicht nur für uns selbst da sind. Wir sind hier, um im Dienst zu sein. Wir wurden hierher gebracht, um Gott zu erfahren, um Gott zu dienen. Und wie können wir Gott dienen? Indem wir der göttlichen Schöpfung dienen. Indem wir ihr helfen das, was Gott geschaffen hat, was aus dem göttlichen Leben hervorgegangen ist, aufblühen zu lassen, es zu

ehren, es zu schützen und in Übereinstimmung damit zu handeln. Dies ist grundlegend für unsere menschliche Identität, unsere fitra , wir sind khalif Allah fi al-ard . Wenn wir dies vergessen, dann sind wir dieser klaren Grundlage unseren Lebens beraubt. Und dann treiben wir dahin, nutzen Gelegenheiten, opportunistisch, um irgend einen temporären Vorteil zu erlangen, um andere auf irgendeine Weise zu dominieren, um Appetit zu stillen, aber ohne einen klaren Auftrag. Das fehlt uns, wenn wir in einer entheiligten Welt leben, einer desillusionierten Welt, einer Welt, in der wir in einem Ego eingeschlossen sind, das uns völlig vom Himmel und vom Meer und von der Erde trennt, uns von der großen Reichweite unserer menschlichen Erfahrung abgrenzt. Es grenzt uns von einer Erfahrung ab, die in ihrer Fülle die innersten Ebenen und die entlegensten Sterne umfasst und die in enger Verbindung mit dem Moment und mit unserem Körper steht.

 

Die Klimakrise ist also wirklich eine Krise des Bewusstseins und des Gewissens. Es ist eine Krise der Identität, das Symptom der Entfremdung, der Entfremdung des Menschen vom Kosmos, dessen Mikrokosmos wir sind. Wir sind der ganze Kosmos in Miniaturform. Alles da draußen ist hier drin. Aber dieser Miniaturkosmos lebt durch die Übereinstimmung zwischen dem, was innen und dem, was außen ist. Und alle Wesen leben in ausgewogenen Symbiosen, in Synergien. Und dieses Verständnis setzt sich erfreulicherweise auch in den Wissenschaften durch, vor allem in der Biologie. Das Verständnis, in dem früher die Natur in erster Linie als Kriegsgebiet zwischen konkurrierenden Organismen gesehen wurde, zeigt immer mehr, in welchem Maße die Organismen sich gegenseitig unterstützen und zum Vorteil der Ökosysteme leben, die sie gemeinsam in ihren sich gegenseitig fördernden Austausch erzeugen. Und seit den alten Zeiten haben Mystiker dies intuitiv erkannt, haben die Art und Weise intuitiv erkannt, wie man sanft auf der Erde wandelt, wie man im Einklang mit den Pflanzen und mit den Tieren lebt.

 

Die großen Propheten und Heiligen und Meister haben sich immer daran erinnert, zum Beispiel unter Bäumen sitzend. Denke an Abraham und seiner Eiche, denke an Buddha unter dem Bodhibaum. Der Baum wird zum Zugang zwischen dem Unsichtbaren und dem Sichtbaren. Und das Rückgrat des Weisen wird nach diesem Symbol des Weltenbaumes ausgerichtet. Große Inspirationen sind unter Bäumen entstanden. Hazrat Inayat Khan pflegte unter einem Aprikosenbaum zu sitzen. Und nach seinem Tod ist dieser Aprikosenbaum verwelkt und ist eingegangen. Ihre

Seelen waren verbunden. Im Sufismus wurden einige unserer Praktiken von Vögeln gelehrt. Mystiker, die unter Bäumen sitzen, lauschen den Geräuschen der Vögel und die Vögel lehren sie, wie man Gott anruft. Ein junger Mann, der keinen Murshid und keinen Lehrer finden konnte, ging in die Wildnis hinaus und setzte sich unter einen Baum, und dort landete ein Vogel und zwitscherte unaufhörlich: "tuiiii, tuiiiiiii, tuiiii". Nun, da der junge Mann Persisch sprach, bedeutet "tu i" auf Persisch "du bist". “Tuiii, tuiiii” “du bist, du bist”. Das wurde zur Litanei. "Du bist" wurde zu seinem Mantram um Gott zu gedenken."Tui tui", das ist einer der „ azkar el toyor “, der Zikr der Vögel, die in der Sufi-Linie überliefert wurden. Und da ist die Erzählung von Rabi'a al-Adawiyya, die von Vögeln und allen möglichen wilden Tieren umgeben war, am Rande der Stadt, in der Wildnis. Und dann näherte sich Scheich Hassan al-Basri. Und sobald er kam, zerstreuten sich alle Tiere. Und er sagte: Warum ist das so? Und sie sagte: Was hattest du zum Frühstück?

 

Also, in Harmonie mit der Natur zu leben ist der uralte Weg und in der Tat nicht nur mit den Tieren und Pflanzen, sondern es ist seit langem bekannt, dass die Elemente eine Lebendigkeit in sich haben, welche die mechanistische Wissenschaft nicht erfassen kann: ein Hauch von Seele, die Seele, die alles durchdringt, die Anima Mundi, die Weltseele in allem. Wenn man also vor einem Wäldchen steht, sieht man nicht nur Holz, auch wenn es eine Art von Holz ist. Natürlich liefert die ganze Natur die notwendige Grundlage für die menschliche Existenz. Aber wie nähert man sich

einem Baum? Wie nähert man sich einem Wald? Du siehst zunächst die Vögel in den Bäumen, die Bäume mit ihren ineinandergreifenden Wurzeln, den Duft des Wachstums. Du hältst inne, du atmest, du spürst den Genius Loci, den Geist des Ortes. Du spürst, dass hier die Stimmung nobel ist, aber nur in Stille, nur mit Aufmerksamkeit. Wenn du einfach hereinplatzen würdest, würdest du sie verpassen. Aber wenn du aufmerksam sein kannst, wenn du still sein kannst, wirst du anfangen, das Unsichtbare im Sichtbaren wahrzunehmen. Und wie da ein Gefühl ist, eine Resonanz, ein Atem, der sich durch alles hindurch bewegt. Und Mevlana Rumi ging weiter und sprach nicht nur von Tieren und Bäumen, sondern sagte, dass Erde, Wasser, Feuer und Luft die Diener Gottes sind. Für uns erscheinen sie leblos, aber für Gott sind sie lebendig. Und daraus können wir erkennen, dass je näher wir dem Gefühl des Göttlichen kommen, desto lebendiger alles werden wird. Steine, Flüsse, Winde, alles pulsiert mit geistigem Leben. Und das ist es, was uns hilft, unseren Auftrag als Khalifat Allahs Fi al-ard zu erfüllen. Wenn wir die Welt von einer spirituell unentwickelte Standpunkt betrachten - das heißt... das Herz ist taub und wir werden durch Gedanken motiviert, die sehr rudimentär und von einem tieferen Vision getrennt sind, dann blicken wir auf eine abwegige, eine vom Geist getrennte Welt und dann ist der Antrieb nur zu gewinnen, auszubeuten, zu nehmen… (man hört einen Navi: Sie sind angekommen). 

 

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Das Sufi Teaching fand im Rahmen des Happenings Climate in the Pulpits (Klima auf der Kanzel) in Richmond, Virginia, USA, statt.