Die Bedeutung von Ziraat

Pir Vilayat Inayat Khan

The Message, vol 7 no 5, May 1981

Pir Vilayat Inayat Khan

Die Freimaurer feierten in ihren Ritualen das Bauen des „Tempels“. Dieses Gebäude stellt den Grundstein der heutigen Zivilisation mit ihrer Nachdruck auf Industrie dar. Hazrat Inayat Khan aber sah voraus, dass der Tag kommen wird, worin wir Menschen auf einen tieferen Schicht der Lebensgrundlagen zurückgreifen werden: Landwirtschaft.

 

Durch diesen Schritt gab er den alten Mysterien (wie Eleusis oder dem Osiris-Kult) eine neue Perspektive. Es gäbe keine Wolkenkratzer, Flugzeuge, Computers und so weiter, wenn ihre Entwickler, Techniker und Manager sich nicht auf die Landwirte stützen könnten, welche für die grundsätzliche Bedürfnisse des Lebensunterhalts zuständig sind: Nahrung.

 

In einer Krise würden wir entdecken, wie glücklich wir sind, über ein Stück Land mit eigener Wasserquelle zu verfügen. Dies wird tatsächlich den größten Reichtum auf dem Planeten darstellen.

 

In der Maßlosigkeit unserer industriellen Entwicklung haben wir Menschen unser Bewusstsein für die Empfindlichkeit des Lebewesens „Erde“ verloren. Vergewaltigt, zu Höchstleistungen gezwungen, missbraucht, liefert Mutter Erde denaturierte Produkte für das Fließband. Die Folgen des Einsatzes von Kunstdünger, Pestiziden und Schadstoffen sind weit verbreitet und alarmierend: gefährdete oder sogar ausgestorbene Spezies; gesundheitliche Probleme welche in Krebs kulminieren. Als Folge der Warnungen der kleinen Gruppe der Besser-Informierten, wurde jetzt ein uraltes Prinzip in ein modernes Konzept verwandelt: in der Ökologie entsteht ein neues Bewusstsein. Es ist dieses Bewusstsein welches Ziraat verkörpert.

 

Die Erde ist kein mechanistisches Instrument, das nach unseren Launen und für unseren Profit manipuliert werden kann. Vielmehr stellt sie ein empfindliches und bewusstes Wesen dar, ausgestattet mit ihrem eigenen Willen und Gefühlen und Neigungen. Als Mit-Lebewesen fasziniert sie in ihrer Wechselbeziehung mit uns Menschen. Der Magnetismus der menschlichen Berührung fördert das Wachstum der Pflanzen auf ihrer Boden (dies ist die Bedeutung des „grünen Daumens“). Ihr Magnetismus wiederum bringt Menschen zum Blühen, regeneriert verschlissenes und abgenutztes Körpergewebe und gibt dem Denken neuen Glanz. Im erhobenen Bewusstsein heiligen wir die Erde wie die Hierophanten und Schamanen dies seit Anfang der Zeiten getan haben. Wenn wir mit ihrer Seele kommunizieren, heiligt sie uns, macht sie uns ganz und somit heilig und gesund.

 

Wir müssen wissen, wie mit ihr zu kommunizieren, und erfassen, was „durchscheint durch dem was erscheint“ (wie die Sufis sagen). Oder, wie die Zoroastrier, ihre Seele, derer Körper das Wasser des Flusses ist, um Zustimmung fragen, in ihr zu baden. Frag den Boden, den Körper des Erzengels der Erde, um Zustimmung für das Anbauen und Verfügen über ihrer Erzeugnisse. Mach ein Vertrag des gegenseitigen Respekts mit ihr, wie die Landbewohner in Süd-Indien mit den Kobras machen. Die Menschen versprechen, die Kobras nicht zu töten und die Kobras unterlassen das Töten von Menschen; und es funktioniert!

 

Der Boden lässt uns gerne ihre Produkte zuteil werden, vorausgesetzt wir geben einen Teil zurück in der Form von Kompost oder organischem Abfall oder sogar durch Meeresalgen. Das Geheimnis welches eine Kommunikation mit den Natur-Geister in Gang setzt ist die Invokation, eine uralte Praxis. Es bedeutet, sich in die Klang-Signatur jedes Wesens oder Archetyps ein zu loggen und dabei einen einfühlsamen Respekt für die Gesetze und Prinzipien, welche sie vertreten und eine verständnisvolle Berücksichtigung ihrer Wünsche an den Tag zu legen. Luther Burbank würdigte diese Wünsche dadurch, dass er seine Pflanzen dazu ermutigte nach ihrer natürlicher Neigung zu wachsen, statt sie dazu zu zwingen, dem menschlichen Willen zu gehorchen.

 

Selbstverständlich stellt die menschliche Intelligenz und den menschlichen Willen einen weiteren Schritt in der Evolution dar. Wie Hazrat Inayat Khan sagt: „die Kreativität des Menschen ist eine Erweiterung der göttlichen Kreativität“, aber wir müssen lernen, unsere eigene Wille mit diesen natürlichen Kräften ab zu stimmen. Das ist wie beim Surfer, der die treibende Kraft der Welle dafür hernimmt, auf die nächste Welle zu springen, kurz bevor der vorhergehende sich zurückzieht. Wir können die großzügige Gaben der Natur so erschließen, dass sie in noch größerer Reichtum an Fülle und Formen aufgeht, ohne sie zu denaturieren, genau so wie ein Pferd schneller läuft, wenn es geritten wird, vorausgesetzt, der Reiter tötet nicht den Spirit des Pferdes.

 

Wenn wir nur wussten, welche Intelligenz, welche Emotion, welche Schönheit hinter der spektakuläre Entfaltung des Lebens auf dem Planeten liegt, würden wir realisieren, was wir verpassen, wenn wir die Natur dadurch reduzieren, dass wir sie als ausschließlich Materie betrachten. Soviel wird gewonnen, wenn wir diese Welt der Seele entdecken und kontaktieren, welche ihre Entsprechung in uns selber hat und durch die Formen und Verhaltensweisen der Natur als das ungeschriebene Gesetz der Natur zu uns kommt. Die stille Stimme der Göttlichen Anwesenheit, der Göttlichen Botschaft, wird durch allen Wesen hörbar, da diese ihre Nahmen flüstern als jeweiligen Beitrag zur Symphonie der Sphären.

 

Das ist die Bedeutung von Ziraat und deswegen ist es geeignet für diejenigen welche die notwendige Feinfühligkeit mitbringen und sich leiten lassen von einem Respekt für die Natur als ein Wesen, worin die Göttliche Anwesenheit und die Göttliche Intention entdeckt wird.

 

Übersetzung von Firos Holterman ten Hove, Herbst 2019